So, 21.02.16
Bundesliga, 22. Spieltag
FC Schalke 04 – VfB Stuttgart 1893 1:1 (1:0)
Z: 61.262
Es ist bereits Mitte Februar, der Rausch der Faschingstage längst verflogen und selbst die Schokoladenosterhasen in den Supermärkten des Abendlandes beginnen bereits Staub anzusetzen, steht doch das Osterfest gefühlsmäßig auch schon wieder vor der Tür. Der Kalender lügt hier nicht, doch auf den saarländischen Fußballplätzen herrscht indes weiter lähmender Stillstand und so langsam zeichnen sich die Spuren dieses schier unerträglichen und nie enden wollenden Vakuums in unseren Gemütern ab: Silvesterparty und Rosenmontagssause sind schon jetzt zu den Höhepunkten des noch jungen Jahres deklariert worden, doch für das Taubheitsgefühl der klatscherprobten Oberarmmuskulatur und dem rußähnlichen Film auf den eingetrockneten Stimmbändern können sie keine zufriedenstellende Abhilfe schaffen.
Die Winterpause hält das Spielgerät weiter fest in ihren Klauen und will es einfach nicht hergeben, zumindest noch nicht. Umso schlimmer das Ganze, wenn man als passiver Akteur dem bunten Treiben in den oberen Ligen zum Zuschauen verdammt ist und sieht, wie etwa die Kölner den Karnevalssonntag mit einer Auswärtstour nach Hamburg zelebrieren können oder der einstige Weggefährte FC Augsburg kurzerhand den englischen Altmeister FC Liverpool empfangen darf. Und noch bitterer, wenn man weiß, dass das eigene Stadion auch mit dem Startschuss zur Rückserie verschlossen bleiben wird…
So zieht sich die Winterpausenlethargie bereits seit dem Abschiedsspiel des geliebten Ludwigsparkstadions gegen den gefürchteten TSV Steinbach unerträglich in die Länge und bis auf einen spontanen Kurztrip in die rheinische Domstadt zum Testkick gegen die Kölner Reserve konnte ich bislang auch leider keine weiteren Hoppingfahrten in dieser Pause realisieren. Dass ich nun doch noch zu einem Pflichtspiel hopsen durfte, war nun also umso erfreulicher und der Rahmen hierfür hätte, bis auf die etwas unglückliche Spielansetzung (17:30 Uhr), auch nicht viel besser sein können. Gut eine Woche vor dem heiß ersehnten Jahresauftakt unserer Molschder in Worms hieß es noch einmal Bundesliga-Luft schnuppern, bevor es wieder zurück in die Regionalligatristesse gehen soll. Die Auswahl des Spiels wurde hierfür nicht ganz zufällig getroffen. Jeder eingeschworene Fußballfan kennt das Problem, Kontakte zu Freunden und Kollegen, die ihrerseits selbst dem Wahn des runden Leders verfallen sind, mit regelmäßigen Treffen zu pflegen. Für gemeinsame Unternehmungen bleibt einem da eigentlich nur die spielfreie Zeit; noch schwieriger wird es allerdings, wenn die Vereine in unterschiedlichen Ligen zu Hause sind. Dann bleibt einem de facto nur das Treffen im Stadion, was ja auch wirklich nicht die schlechteste Alternative zum innenstädtischen Café darstellt. So traf ich mich mit meinem hoch geschätzten Kollegen, seines Zeichens den Farben des VfB Stuttgarts hold, dann einfach anlässlich des Gastspiels seiner Mannschaft beim FC Schalke in Gelsenkirchen. Die Anreise am Spieltag selbst stellte an mich keine besonderen Anforderungen, konnte ich den Besuch des Spiels doch mit einem elterlichen Wochenendbesuch, die ihrerseits im äußersten Westen des Kohlepotts residieren, verbinden.
Nach Erreichen des Duisburger Hauptbahnhofs folgte noch eine rund viertelstündige Zugfahrt über Oberhausen und Essen nach Gelsenkirchen und, aus dem Fenster blickend, schwelgte ich in Erinnerungen längst vergangener Zweitligazeiten…
Seit Abfahrt befand ich mich in einer Traube Blau-Weißer, die stimmungstechnisch wirklich zu überzeugen wussten. Zwar war ich schon einige Male „AufSchalke“ gewesen, doch ist mein letzter Besuch auf das Jahr 2013 datiert, damals Schalke gegen PAOK Saloniki, zudem kann ich mich nicht erinnern, jemals mit dem Zug zur Arena gefahren zu sein. Was mich dann am Gelsenkirchener Hauptbahnhof erwartete, gefiel mir sehr: Hunderte Schalker feierten eine einzige Party- völlige Eskalation. Jaaaaa ! Das ist ein Spieltag! Und in mir vibrierte es: Noch eine Woche und dann geht es endlich auch bei uns wieder los. Und dazu noch in den richtigen Vereinsfarben. Mein absolutes Highlight, das mir beim Schreiben dieser Zeilen immer noch ein breites Grinsen beschert, war aber eindeutig die mobile Diskokugel: Eine Truppe, bestehend aus Mitdreißigern und -vierzigern schob einen Bollerwagen durch die Bahnhofshalle, auf dem sich nicht nur eine drehende und in allen Farben aufblinkende Diskokugel, sondern auch Boxen mit angemessenem Lautstärkepotenzial befanden, um auch den Bahnhofsvorplatz gleich mit zu beschallen und den Bahnhof in eine riesige Großraumdiskothek zu verwandeln. Das reinste Wunschkonzert, denn die Truppe war bereit, allerlei Musikwünsche zu erfüllen, die auch weit über das Repertoire der Fanlieder hinausgingen.
Mit der völlig überfüllten Straßenbahn ging es dann über die Schalker Meile immer Richtung Buer zum Stadion bzw. zur bundesligatauglichen Sporthalle. Bei nasskaltem, stürmischen Wetter machte ich mich zügig auf den Weg Richtung Gästeparkplatz, um meinen Kumpanen zu begrüßen. Welch ein Glück, dass auf Schalke Hallenfußball gespielt wird…
Hunger, Durst und die Lust auf Fußball lotsten uns ohne weitere Umwege direkt ins Stadion und nachdem alle Grundbedürfnisse befriedigt waren dann auch unverzüglich in den Gästeblock. Für mich natürlich eine ganz andere emotionale Aufladung als für meinen Kollegen. Die größte Herausforderung bestand in der passenden Platzierung im Block, ohne dass dabei einer von uns seinen Farben Unrecht tun würde. Etwas abseits vom Pulk der aktiven Szene, aber dennoch mit der nötigen Nähe zum Blockgeschehen, konnte beiderseitiger Respekt zufriedenstellend gewahrt werden. Die Stuttgarter begannen ihren Support mit einer schönen Fahnenchoreographie in der ungewohnterweise nicht ganz ausverkauften Arena. Das durchaus intensiv geführte Spiel wurde weitestgehend vom VfB bestimmt, doch die spielerische Dominanz und die Vielzahl an Standardsituationen, insbesondere Eckbällen, konnten nicht in Zählbares umgemünzt werden, sodass es für die Schwaben nicht über ein Remis hinausgehen sollte. Stuttgart, aus meiner Sicht, der „Sieger der Herzen“ beim einstigen „Meister der Herzen“, der sich seinerseits auf Kontervorstöße nach Stuttgarter Ballverlusten, zumeist nach vergebenen Eckbällen, beschränkte. Kurz vor Abpfiff hätte eine Schalker Großchance dann aber doch noch den Sieg der Heimmannschaft besiegeln können. Insofern können beide Seiten mit der Punkteteilung nach dem Spiel zufrieden sein; angesichts der tabellarischen Ambitionen der Knappen aber wohl definitiv zu wenig für die Schalker.
Während ich über die gesamte Aufenthaltsdauer im Block darauf bedacht war, nicht weiter aufzufallen und mich völlig neutral verhielt, prahlte der Mann in der Reihe vor uns mit „SEINEM“ Verein und rieb jedem Umstehenden, ob er wollte oder nicht, seine Armbanduhr im 1.FC Nürnberg- Design unter die Nase und bekundete mit mehrmaligem Tippen auf das Uhrenglas voller Stolz: „Das ist MEIN Verein.“ Wir konnten nur den Kopf schütteln; ein paar Stufen weiter blockabwärts wäre das Interesse für die Uhr(zeit) sicherlich größer gewesen… Dass ebendieser Mann dann auch noch stolz auf die Freundschaft von Nürnberg und Schalke verwies, veränderte unsere Meinung über ihn dann insofern, als dass wir ihn nicht mehr als Provokateur, sondern als Geisteskranken einstuften. In dieser Einschätzung wurden wir um ein weiteres bekräftigt, als er in der zweiten Halbzeit ein selbstgeschossenes Foto auf seinem Handy herumzeigte, das einen Schokoladennikolaus und einen Schokoladenosterhasen vom FCN abbildete. Völlig irre manche Leute. Und weiter steigerte er seinen Auftritt dann durch das aktive Mitsupporten für die Stuttgarter, da sein Kumpel wiederum VfBler war. Macht wenig Sinn, aber nun gut.
Nach dem Abpfiff blieb dann nicht mehr viel Zeit; der Stuttgarter Tross musste ja noch zurück ins Schwabenländle und so verbrachten wir die Zeit bis zur Abfahrt dann einfach an der Kasse, um den Restbetrag der, für den Kauf von Speis und Trank notwendigen, Guthabenkarte wieder ausbezahlt zu bekommen. Über das Dach der Arena lässt sich ja getrost noch streiten, aber ein bargeldloses Bezahlsystem im Stadion ist dann des Guten doch zu viel und so der Appell an die Vereinsverantwortlichen meines geliebten FC: „Bitte nicht, braucht keiner!“ Manchmal ist man dann doch froh, nur in der Regio zu spielen…
Und dann endete der Nachmittag auch schon wieder so schnell, wie er begonnen hatte und ich machte mich auf den Weg zurück zum Bahnhof, diesmal dann wieder von singenden Schalker umgeben. Davon bekam ich aber kaum noch etwas mit, denn unlängst hatte meine innere Stimme mit Saarbrücker Liedgut eingesetzt, welches ich leise vor mich her säuselte. Einmal wurde ich jedoch dann doch nochmal zurück ins Hier und Jetzt geholt: Es war wieder die Gruppe mit der Diskokugel, die den Duisburger Hauptbahnhof mit „Movie Star“ zurück in die 70er Jahre versetzte und mir noch einmal ein breites Grinsen schenkte. So kam ich anschließend sogar noch ins Gespräch mit dem lustigen und sympathischen Grüppchen, die selbst alle jahrelang miteinander befreundet sind und zusammen zu IHREM Verein fahren, bevor ich mich dann, kurz vor dem Aussteigen, traute, von MEINEM Verein voller Stolz zu erzählen.